Archive for Juli 2012

 
 

Zum Abschied von Hans Sahl

Hans Sahl und seine Exillyrik

von Jang-Weon Seo

Hans Sahl wurde 1902 in einer großbürgerlichen vermögenden Familie jüdischer Herkunft in Dresden geboren. Sein Großvater war Direktor einer Brauerei gewesen und sein Vater war Fabrikant in Berlin. Ab 1907 verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Berlin. Er studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in München, Leipzig, Berlin und Breslau und promovierte 1924 in Kunstgeschichte. Nach seinem Studium wurde er prominenter Literatur- und Theaterkritiker in Berlin. 1933 musste er Deutschland verlassen.
Hans Sahl emigrierte erst über Prag (1933) in die Schweiz (1934), nach Frankreich, dann über Spanien und Portugal in die USA. In Frankreich beteiligte sich Sahl als Mitarbeiter am Tagebuch von Leopold Schwarzschild, einem Kampforgan des Widerstands. Er wurde 1939 in den Lagern Stade Colombe und Nervers in Frankreich als „feindlicher Ausländer“ interniert. Er flüchtete danach nach Marseilles. In Marseille gehörte Sahl 1940 zu den Mitarbeitern Varian Freys, der dort im Auftrage des Emergency Rescue-Committees deutsche Flüchtlinge nach Amerika brachte. 1941 entkam er in die USA. 1942 erschien sein Gedichtband Die hellen Nächte in New York, welcher seine Flucht aus Frankreich von 1940 bis 1941 behandelte.

Exil

Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Der Staub verweht.
Ich habe meinen Kragen hochgeschlagen.
Es ist schon spät.

Die Winde kreischt. Sie haben ihn begraben.
Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Zu spät.

Hans Sahl war jüdischer Deutscher, besaß also eine doppelte Zugehörigkeit. Er hatte einmal in einem Brief sogar vorgebracht, dass „die Deutschen die Juden und die Juden die Deutschen erfunden“ hätten. Bis zu den Moskauer Prozessen bezeichnete er sich als Kommunist, danach wandte er sich davon ab, womit auch eine spätere Rückkehr in die DDR nicht in Frage kam. Hans Sahl war inzwischen ein amerikanischer Bürger geworden und er wurde in New York heimisch. Er lebte jedoch in New York unter schwierigsten Bedingungen und war vom Schicksal hart getroffen.
Hans Sahl gehört zu jenen Emigranten, die nach dem Kriegsende eigentlich nicht nach Deutschland zurückgekehrt sind. Erst spät ist er endgültig nach Deutschland zurück und ist dann auch hier gestorben. Das Ende des Krieges war für Sahl nicht das Ende der Emigration. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg dreimal nach Deutschland zurückgekehrt und ging zweimal nach New York zurück. Seine erste Rückreise nach Deutschland trat Sahl 1949 an.

Das Land unter dem Mond

Ich denke oft an ein Land unter dem Mond,
da saß man zu Tisch und schnitt das Brot,
und dann kam eine große Hungersnot,
und der Mond ging unter und um ging der Tod.

Erinnerungen an Erinnerungen schreiben sich schwer,
wie ich zu Deutschland stehe, ich weiß es nicht mehr. . .
Gras wuchert über den Schienenspuren,
die meine Brüder in die Vernichtung fuhren.

Doch ich denke oft an das Land unter dem Mond,
wo ich einmal lebte und niemand mehr wohnt.

In einer Mondnacht kam Hans Sahl in Das Land unter dem Mond zurück. Deutschland lag zu dieser Zeit in Sahls Auffassung „unter dem Mond“. Er befand sich in einer irrealen Welt. Sahl traf in seiner aufgesuchten Heimat Deutschland auf eine Art falsche Idylle. Es war, als ob kein Mensch sich nach Deutschland verirrt hätte. Er fühlte sich entfremdet vom Heimatland. In der Realität kam er nach Deutschland zurück, aber in das Land seiner Erinnerungen konnte Sahl nur in seinen Gedanken zurückkehren
Zum zweiten Mal kehrte er in den fünfziger Jahren als Amerikaner mit einem Reisepass nach Deutschland zurück. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt im westlichen Deutschland ging er wieder in die USA zurück. Sahl ist dann 1989 schließlich fast „zu spät“ nach Deutschland zurückgekehrt und blieb bis zu seinem Tod 1993 in Tübingen.
Hans Sahl kehrte als einer der Letzten und als Fragender nach Deutschland zurück, der seine Zeitgenossen sowie Nachgeborenen als seine Gesprächspartner nach Lösungen befragt. Er hatte somit etwas mitzuteilen über den Zustand seiner Zeit und des Menschen, wie er ihn gesehen hat.

Die Letzten

Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.
Wir tragen den Zettelkasten
mit den Steckbriefen unserer Freunde
wie einen Buchladen vor uns her.
Forschungsinstitute bewerben sich
um Wäscherrechungen Verschollener,
Museen bewahren die Stichworte unserer Agonie
wie Reliquien unter Glas auf.
Wir, die wir unsere Zeit vertrödelten,
aus begreiflichen Gründen,
sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden.
Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz.
Unser bester Kunde ist das
schlechte Gewissen der Nachwelt.
Greift zu, bedient euch.
Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.

In dieser Äußerung handelt es sich um den dringlichen Aufruf dazu, sich für das allgemeine Schicksal der Exilautoren zu interessieren. Als einer unter Den Letzten versucht Sahl einen neuen Ansatz zur Erforschung des Exils zu geben, und so auch in methodologischen und themenorientierten Fallstudien neue theoretische Konzepte zu entwickeln.
Als einer unter Den Zuständigen wendet Sahl sich mit diesen Gedanken an Zeitgenossen; er fordert unter anderem die Exilforscher auf, sich mit seiner Lebensgeschichte und seinem literarischen Schaffen „als Beispiel“ auseinanderzusetzen. Einer unter Den Wenigen wird zum Zuständigen für denjenigen, der sich nach der Exilliteratur erkundigt und seine Gesprächspartner nach Lösungen befragt. Damit setzt Sahl als einer Der Trödler des Unbegreiflichen noch in seiner Lebenszeit ein Zeichen. Die Darstellung der Exilliteratur beginnt durch die Exilanten selbst, welche „den Zettelkasten / mit den Steckbriefen [ihrer] Freunde / wie einen Buchladen vor [sich] her“ tragen. Durch „Museen“ und „Forschungsinstitute“ werden die Aufzeichnungen und Erinnerungen der Exilanten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, auch in dem Bewusstsein, das ein Interesse daran besteht. In seinem programmatischen Gedicht fordert Sahl seine Leser imperativisch ausdrücklich zu diesem Interesse auf.
Sahl wollte stets die Geschichte und die Wirklichkeit kritisch beobachten und wach bleiben. Er gab somit die Hoffnung nicht auf und wartete auf eine Welt „der Sauberkeit, der Ordnung, der Genauigkeit und der präzisen Verantwortung“, die das Chaos ablöst. Nach seiner endgültigen Rückkehr konnte Sahl spüren, dass ihm in Deutschland mit wachsender Anerkennung begegnet wurde. Im März 1993 schrieb Sahl sein letztes Gedicht:

Ich weiss, dass ich bald sterben werde
zu lange schon war ich auf dieser Welt zu Gast […]

Was bleibt von all dem, das ich tat und lebte?
Nur eine Kleinigkeit: Ein Mensch fand statt. […]

Fast schon so alt wie dieses, mein Jahrhundert
der Flammenmeere, Mörder, Folterungen,
der Volksverderber und der Volksverächter,
geliebt, gehaßt, gefürchtet und bewundert.

[…]
Ich weiss, dass ich bald sterben werde.
Ein Gast nimmt leise seinen Hut und geht.

Sahl nahm leise im April dieses Jahres in Deutschland seinen Hut und ging in eine andere Welt jenseits aller Ferne, als wäre er nie geflüchtet und zurückgekehrt.

Totentanz

Die Art und Weise der Begegnung des Todes mit den Lebenden in den Totentanz-Holzschnitten (Zusammenfassung)

von Jang-Weon Seo

In der Zeit der Romantik war das Motiv des Totentanzes in der europäischen Kunst sehr beliebt. Der französische Komponist Camille Saint-Saëns komponierte den Totentanz 「Danse Macabre」 und Franz Schubert aus Österreich 「Das Mädchen und der Tod」. Der englische Schriftsteller Walter Scott besang 1815 「The Dance of the Death」 und Arthur Rimbaud aus Frankreich verwendete 1870 das Motiv des Totentanzes in seinem Gedicht 「Ball der Gehängten」. Die Tradition des Totentanzes als künstliche Gattung geht jedoch auf die Renaissance und auf das späte Mittelalter zurück.

Die Themen entspringen nicht der Renaissance, sondern gehen auf Traditionen von Danse Macabre aus dem Mittelalter zurück. Damals war die Gattung des Danse Macabre im gesamten Europa sehr verbreitet. 「Der Tod und das Mädchen」 war bereits ein Sujet der bildenden Kunst bei Hans Baldung Grien. Außerdem malte Hans Baldung und Niklaus Manuel unter dem Titel 「Der Tod und die Frau」. In dieser Zeit haben sich viele Künstler mit diesen Themen beschäftigt.

In Deutschland ist der Totentanz am Oberrhein, in Basel und Ulm entstanden und zu Berühmtheit gelangt. Grund für die Entstehung des Totentanzes war die Pest, eine Epidemie, wodurch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung plötzlich starb. Der Totentanz stellt den Tod als unberechenbares Schicksal dar, das die Menschen unvorbereitet traf. Der Totentanz macht sodann deutlich, dass alle Menschen gleich sind, wenn sie sterben. Niemand kann dem Tod entrinnen.

Dieser Totentanz enthält die so genannten Vado-Mori (deutsch: ich werde sterben) Verse. Vertreter der verschiedenen mittelalterlichen Stände, männlich oder/und weiblich, beklagen darin ihren Tod. Am bekanntesten sind Der Baseler Totentanz, Der Berner Totentanz und Der oberdeutsche vierzeilige Totentanz. Letzterer ist der älteste überlieferte Totentanz-Text in Deutschland. Darin sind alle 24 Stände hierarchisch dargestellt.

Die 24 Stände sind: der Papst, der Kaiser (die Kaiserin), der König, der Patriarch, der Erzbischof, der Kardinal, der Bischof, der Herzog, der Graf, der Ritter, der Abt, der Jurist, der Chorherr, der Arzt, der Edelmann, die Edelfrau, der Kaufmann, der Apotheker, die Nonne, der Koch, der Bauer, der Bettler, die Mutter und das Kind. In dieser Totentanzreihe sind alle wesentlichen Merkmale des mittelalterlichen Holzschnitts erkennbar.

(Der ganze Text ist auf Koreanisch abrufbar unter: http://www.delidi.kr/)